Evangelisches Dekanat Odenwald

275 Jahre Erbacher Stadtkirche

Querschiff liegt direkt an der Mümling

Erbach. Die Mümling ist in Erbach nicht schiffbar. Aber ein Querschiff steht dort dennoch seit 275 Jahren direkt am Fluss. Die evangelische Stadtkirche in Erbach, die in ihrer heutigen Gestalt 1750 fertiggestellt worden ist, hatte an derselben Stelle einen Vorgängerbau. Als die Gemeinde im achtzehnten Jahrhundert zahlenmäßig so angewachsen war, dass der Platz in der deutlich kleineren ehemaligen Kirche nicht mehr ausreichte, wurde auf Veranlassung von Graf Georg Wilhelm das heutige Gotteshaus erbaut. Der Grund dafür, dass sie anstelle eines sogenannten Langhauses, also eines länglichen Kirchenschiffs, über ein Querschiff verfügt, ist allerdings wohl nicht, wie zuweilen geschehen, theologisch zu deuten. "Eine Erweiterung in die andere Richtung war schlichtweg wegen der direkt angrenzenden Mümling nicht möglich, also blieb nur der Anbau nach links und rechts", erklärt Regina Stellwag, die Kirchenvorstandsvorsitzende der Erbacher Gemeinde.
Sicher ist freilich auch, dass die Kirche in einer Zeit erbaut worden ist, in der die Reformation hier längst eingeführt worden war. So ist manch andere Besonderheit der Architektur im Inneren dann wohl doch in theologischem Zusammenhang zu sehen: Es gibt etwa keinen Chorraum, und Altar, Kanzel und Orgel liegen in einer Flucht übereinander - typisch für viele explizit evangelische Gotteshäuser.

Das halbrunde Jubiläum wird nun jedenfalls in Erbach gefeiert. Dazu gestaltet Pfarrer Christopher Kloß einen Abendgottesdienst, der am Samstag, 12. Juli, um 18 Uhr beginnt. Anschließend findet ein kleiner Empfang statt, bei dem auch Bilder aus der Geschichte der Kirche gezeigt werden sollen.

Der erwähnte Vorgängerbau stammte aus dem Jahr 1370 und war natürlich in dieser Zeit und auch noch lange danach eine katholische Kirche. Ihre Abmessungen entsprachen in etwa dem heutigen Altarraum. Bis 1497 gehörte die Gemeinde zu Michelstadt, wurde dann aber selbstständig. Ein Vierteljahrhundert später, 1747, wurde die alte Kirche abgerissen, und nach nur drei Jahren Bauzeit 1750 war der Neubau vollendet. "Der Hesse denkt nicht nur praktisch, er ist auch schnell", merkt Pfarrer Bert Rothermel hierzu an.
Lange Zeit gab es Regeln, die heute antiquiert anmuten: Die Frauen saßen beim Gottesdienst unten in der Kirche, die Männer auf der Empore. Für die gräfliche Familie gab es den Grafenstuhl auf Höhe der Kanzel und mit dem geraden Blick auf den predigenden Pfarrer. Über dem Grafenstuhl befand sich noch der sogenannte Beamtenstuhl.
Im Laufe der Jahrzehnte, ja Jahrhunderte, hat sich nicht nur die Sitzordnung geändert: Die markanten, den Kirchenraum prägenden Buntglasfenster kamen Ende des 19. Jahrhunderts hinzu, davor war normales Fensterglas eingebaut. Aus dem Jahr 1899 stammt die Sauer-Orgel, die bis heute erklingt. Ihr Gehäuse indessen ist deutlich älter, es stammt bereits von 1724 - also noch aus der Vorgängerkirche. 1911 bekam das Gotteshaus elektrisches Licht.

Und bald schon stehen wieder Arbeiten an: eine gründliche Innenrenovierung der Stadtkirche. Sie soll im Januar kommenden Jahres beginnen. Die Stufe zum Altar, die für manche Menschen auch eine Art Barriere darstellt, wird dabei verschwinden, ebenso einige Bänke. Heizung, Licht und Akustik werden erneuert, und der Innenraum bekommt einen frischen Anstrich. Auch ein Kirchencafé-Bereich soll entstehen, und der seitherige Grafenstuhl wird zu einem kleineren Andachtsraum innerhalb des Gotteshauses. "Bei dieser Gelegenheit wird dann auch die Orgel ausgebaut und überarbeitet", erklärt Regina Stellwag. Sie veranschlagt rund ein Jahr für die Arbeiten. "Während dieser Zeit sind wir das Wandernde Gottesvolk, das ja auch schon in der Bibel beschrieben wird", sagt Pfarrer Rothermel. Will heißen: Gottesdienste finden dann beispielsweise in der Kirche in Bullau, in Dorfgemeinschaftshäusern und in der warmen Jahreszeit unter freiem Himmel an der Not-Gottes-Kapelle im Brudergrund statt. Und auch die katholische Kirchengemeinde werde ihre Kirche St. Sophia den Glaubensgeschwistern öffnen, freut sich der Pfarrer.

 

Bernhard Bergmann
24.6.2025


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