Neckarsteinach. Punkt 18 Uhr öffnet sich die Kirchentür, und zunächst ist nur eine Tannenspitze zu sehen. Nach kurzem Feststecken im zu engen Durchgang werden fünf Personen sichtbar und bringen den stattlichen Baum, welcher in diesem Jahr der Weihnachtsbaum sein wird, ins Gotteshaus. Zwei von ihnen sind die Cousins Marwan und Dulovan. Die beiden Kurden sind vor ein paar Jahren aus Syrien geflohen; drei Monate dauerte der Weg über Irak, Iran, Türkei, Rumänien und Bulgarien. Oft waren sie zu Fuß unterwegs, gelegentlich ein Stück mit dem Auto oder in einem LKW.
In Deutschland angekommen, lebten sie in Neckarhausen. Vor zwei Jahren, als ihnen die Abschiebung drohte, zogen sie ins Neckarsteinacher Martin-Luther-Haus der evangelischen Kirchengemeinde ins Kirchenasyl; auch das war um Weihnachten. Geblieben sind aus dieser Zeit eine enge Verbundenheit mit Menschen aus der Kirchengemeinde, geblieben sind Vertrauen und Dankbarkeit. Mit Pfarrer Norbert Feick und seiner Frau Renate gibt es an diesem Spätnachmittag in der Kirche ein herzliches Wiedersehen; kurz werden die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht, bevor zunächst der Baum gestellt, die Lichterkette aufgehängt und Strohsterne platziert werden.
"Ich komme immer gerne und helfe"
"Sie haben uns geholfen, und deshalb komme ich auch immer gerne und helfe", erklärt der 27-jährige Marwan, dessen Hemd von Tannennadeln übersät ist. Dazu gehört nun auch das Schmücken des Christbaums. Aber die beiden Muslime haben auch schon mal das Martin-Luther-Haus aufgeräumt und das Gelände ums Gebäude gefegt.
Das Kirchenasyl endete damals nach drei Monaten mit der Aufenthaltsgenehmigung. "Vorher konnte ich kaum schlafen", erinnert sich Marwan. Mittlerweile haben beide Arbeit, Marwan in einem Restaurant in Heidelberg, sein ein Jahr älterer Cousin als Pflegehelfer in einem Altenheim in Eberbach - wo er sehr geschätzt wird und ebenfalls jederzeit einspringt, wenn es nottut.
Über die aktuelle Situation in Syrien sprechen Marwan und Dulovan nicht gerne; man spürt, dass sie sich Sorgen machen, viele Familienangehörige sind noch dort. Dulovan sorgt sich insbesondere um seine Frau, seinen neunjährigen Sohn und die zwei Jahre jüngere Tochter. Die Hoffnung war groß, dass auch die Situation der Kurden mit dem Sturz von Diktator Assad besser würde. Das sehe aber derzeit nicht so aus, sagen die Cousins; "es ist noch schlimmer".
"Das ist gelebte Weihnachtsgeschichte"
"Welches ist denn die schöne Seite?", fragt jemand. "Das sehen wir, wenn er geschmückt ist, drehen können wir zum Schluss", antwortet Küsterin Andrea Zepnik. Am Chorbogen wartet die leere Krippe, fürs Krippenspiel an Heiligabend ist alles gerüstet, sogar eine Nebelmaschine steht bereit. Auf dem Altar harrt bereits eine Heilige Familie und schaut dem Treiben im Gotteshaus zu. In wenigen Tagen wird sie im Mittelpunkt stehen.
Dulovan balanciert derweil auf einem Bein auf der Leiter und streckt sich weit nach vorne, um den Stern genau dorthin zu setzen, wo er sein soll; Höhenangst ist sein Thema wohl nicht. Zusammen mit den beiden haben noch weitere helfende Hände aus der Kirchengemeinde angepackt und verwandeln zusammen die frisch geschlagene Nordmanntanne in einen festlichen Weihnachtsbaum. Die Regie liegt bei Küsterin Zepnik. Pfarrer Feick hingegen schaut nur kurz vorbei, er weiß die Arbeiten hier in den besten Händen und muss gleich weiter zu einem anderen Termin, Vorweihnachtszeit eben. Wie nimmt der Pfarrer dieses aus tiefstem Herzen kommende Engagement syrischer Kurden in der evangelischen Kirche wahr? "Für mich ist das gelebte Weihnachtsgeschichte." Es sei doch wie damals: "Da kommen zwei und suchen in der Fremde Unterkunft, sie brauchen Herberge". Und deswegen passe es so gut, dass sie nun ausgerechnet den Weihnachtsbaum schmückten, um etwas zurückzugeben, findet Feick.
Als der Baum nach gut einer Stunde gemeinsamer Arbeit fertig und ganz zum Schluss auch noch richtig platziert ist, verabschieden sich die meisten der Helferinnen und Helfer, auch Marwan und sein Cousin. Dulovan freut sich auf die Weihnachtsfeier im Pflegeheim.
Nachdem alle gegangen sind, arrangiert die Küsterin noch die Krippe unter dem Weihnachtsbaum; geschützt und geborgen unter Zweigen, Lichtern und Sternen.
Bernhard Bergmann
20.12.2024
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