Evangelisches Dekanat Odenwald

Weihnachten 2020

Eine ganz besondere Ikone

Dieses Schild hätte wohl gute Chancen, zum "Schild des Jahres" zu werden, wenn es so etwas gäbe. Abstand! Wegbleiben, kein Zutritt!
Abstand - ein Virus nötigt ihn uns auf. Ja, es stimmt schon, er ist erforderlich in diesen Tagen, Wochen, Monaten.
Weihnachten auf Abstand, ein seltsamer Gedanke.

Das mit dem Abstand, das gilt bei uns Menschen. Bei Gott hingegen ist das ganz anders und erst recht an Weihnachten, dem Fest der Nähe schlechthin.
Gott gibt den Abstand auf, kommt ganz nah, auf die Erde. Er wird einer von uns, ein Mensch; konkret: ein Kind. Bevor dieses Kind später die Menschen umarmen wird und ihnen das Reich Gottes ganz nahe bringt und sie heilt, muss es erst selbst in die Arme genommen, versorgt werden wie jedes andere Kind auch, gewickelt, getröstet, gedrückt, gestreichelt.
Gott will in diesem kleinen Kind in die Arme genommen werden, das ist Weihnachten. Und da gibt es keinen Abstand.

Nochmal zu dem Schild: In der Zeichenlehre wird ein abbildendes Schild dieser Art als Ikon bezeichnet. Wir kennen das Wort heute eher aus dem Smartphone-Englisch, da ist öfter mal von icons die Rede: Emoticons, also Smileys, klassischerweise. Von Ikon ist es sprachlich gar nicht weit zur Ikone. Die ist nur einen Buchstaben entfernt.
Ikonen, religiöse Abbilder, Heiligenbilder sind vor allem aus den orthodoxen Kirchen bekannt. Bilder, die im wahrsten Sinne des Wortes religiöse, anbetungswürdige Augenblicke zeigen. Nicht die Bilder selbst werden angebetet, sondern die Wirklichkeit hinter den Bildern. "Fenster zum Himmel" heißen Ikonen denn auch in einer Umschreibung.

So gesehen ist das Abstand-Schild oben eine "Antikone". Abstand ist nichts Anbetungswürdiges, weder bei Gott noch bei den Menschen. Aber auch wenn jetzt Abstand dran ist bei uns, zwischen uns, heißt das nicht, dass uns die Nähe verloren gegangen ist oder geht. Und schon gar nicht heißt es, dass Gott uns nicht nahe ist beziehungsweise immer wieder kommen will und kommt. Daran erinnern wir uns Jahr für Jahr an Heiligabend. Und schauen lieber auf eine Ikone, die eigentlich gar keine ist: ein Fenster aus der evangelischen Kirche in Oberzent-Gammelsbach, geschaffen 1964 von Bruno Müller-Linow.
Ein Fenster und zugleich - ein Fenster zum Himmel.
Hier steht eine Krippe im Mittelpunkt. Sie leuchtet hell und bedeutungsvoll in einem warmen Gelb, genauso wie auf Ikonen das Gold immer ein Hinweis auf den göttlichen Grund ist.
Und - sie ist leer. Das heißt: Jesus, der Christus, der einst darin lag, ist unter uns, ganz nah. Und es heißt zugleich: Die leere Krippe ist aufgestellt im eigenen Herzen. Von Angelus Silesius stammt der Satz: "Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, und nicht in Dir: Du bliebest doch in alle Ewigkeit verloren." Im eigenen Herzen. Näher geht es nicht.

 

Bernhard Bergmann
24.12.2020


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