Evangelisches Dekanat Odenwald

Interkulturelle Woche: Vortrag in Michelstadt

Bloß nicht mit der Schwiegermutter im Raum

Michelstadt. Komplimente sind ja eine schöne Sache. Im Iran aber zum Beispiel sollte man vorsichtig damit umgehen. Es kann sonst sein, dass man ein für seine Schönheit gelobtes Schmuckstück als Geschenk angeboten bekommt. Das aber, so wollen es die gängigen Umgangsformen, darf man dann keinesfalls annehmen, man muss es mehrfach höflich ablehnen. Erst wenn eine bestimmte Anmerkung kommt, die soviel bedeutet wie "ganz im Ernst", dann kann, ja dann wiederum sollte man es sogar annehmen, um abermals kein Befremden auszulösen. Ob man es dann gerne tragen mag, ist freilich eine andere Frage.

So etwas aber muss man erstmal wissen, wenn es drauf ankommt, und so nannte Judith Albrecht dieses Beispiel bei ihrem gleichermaßen informativen wie unterhaltsamen Vortrag über Gastfreundschaft, der im Rahmen der diesjährigen Interkulturellen Woche stattfand. Für die veranstaltende Initiative 'Wissen macht stark' begrüßten Dr. Christina Meyer und Pfarrerin Renate Köbler die Referentin und die Gäste. Die Berliner Sozial- und Kulturanthropologin und Filmemacherin Albrecht hat sich intensiv mit dem Thema Gastfreundschaft in unterschiedlichen Kulturkreisen - etwa in Tansania und Malawi, im Iran und in Libyen - beschäftigt und kennt sich ausgesprochen gut aus. "Ich bin selbst viel zu Gast gewesen", erklärte sie den rund 20 Zuhörerinnen und Zuhörern im Neuen Evangelischen Gemeindehaus in Michelstadt.

Gastfreundschaft selbst ist ebenfalls etwas Schönes. Aber was darunter zu verstehen ist und was sie praktisch bedeutet, auch darüber gibt es eben unterschiedliche Auffassungen, wie Judith Albrecht verdeutlichte. Und dadurch kann es kompliziert sein.
So zeigte sie auf, dass viele Feste hierzulande exklusiv, also ausschließend, sind; als Beispiele nannte sie Weihnachten oder Hochzeitsfeiern, die nur der Familie respektive geladenen Gästen vorbehalten sind. "Das ist in vielen Ländern ganz anders. Wenn man dort zu einer Hochzeit zufällig dazukommt, dann ist man selbstverständlich auch Gast." Für Heiterkeit sorgte Judith Albrechts durchaus ernstgemeinte Anmerkung, dass in manchen Kulturkreisen die Regel gelte, nicht mit der Schwiegermutter allein im Raum zu sein.

Auch andere Aspekte kamen zur Sprache: Von den "Grenzen der Gastfreundschaft" zu reden, wie dies immer wieder mal zu hören ist, ist laut Judith Albrecht vollkommen unpassend. Wohl könne man Schwierigkeiten und Probleme im interkulturellen Miteinander benennen. "Das aber hat nichts mit der Grundfrage nach Gastfreundschaft zu tun", die sozusagen als hoher Wert auf einer ganz anderen Ebene liegt, stellte die Referentin klar.
Und im Begriff "zu Gast sein" liege immer eine zeitliche Begrenzung. Vor diesem Hintergrund zeigte Albrecht die Schwierigkeit auf, von "Gastarbeitern" zu sprechen, wo doch viele Menschen, die nach dem Krieg nach Deutschland gekommen sind, hier bald schon heimisch wurden. "Ein Gast wird mit der Zeit zu einem Menschen, der Staatsbürger werden soll und will." Dann aber sei sein Hiersein keine Frage der Gastfreundschaft mehr. Und: "Wie verträgt sich eine Aussage wie etwa 'Du bist nur Gast in unserem Land' mit der gleichzeitig geforderten Integration?" Man solle aus Vorbehalten, aus Angst womöglich vor dem Unbekannten, in die Neugier kommen, ermutigte Albrecht, denn: "Man kann so viel lernen."

 

Bernhard Bergmann
5.10.2022


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